«


In Elektronengewittern
Frank Hartmann

Zwischen Golfkrieg und Cyberguerilla ist jeder Desktop unversehens zur Kommandozentrale geworden, wenn es nach den Veranstaltern der diesjaehrigen Ars Electronica in Linz geht.
Polemische Bemerkungen zum Pathos des Infowar-Themas.




Krieg - laengst wissen wir es - ist Vater aller Dinge,
und ganz besonders gilt dies fuer die neuen Medien, wenn nicht gar fuer Medien ueberhaupt. Ein Festival fuer Kunst, Technologie und Gesellschaft, welches Medien thematisiert, soll progressiv sein. Jahr fuer Jahr entsteht so der Zwang, ein bestimmtes Thema mit gesellschaftspolitischer Brisanz aufzuladen. Das Ars Electronica Festival, europaeisches Zentralorgan der 'digitalen Revolution', wartet diesmal mit der Sensation auf, dass Krieg mit Information zu tun hat. Eine Entdeckung, die in geschwollener Kuratorenprosa breitgetreten wird und die glauben machen will, man stehe hier nach wie vor ganz vorn an den neuen "Fronten".

Zum Glueck fuer die in Linz erwarteten Avantgardetouristen
ist der Krieg fuer sie vollkommen ungefuehrlich, denn er findet real immer woanders statt, am Balkan beispielsweise. Aber das ist Realität, und deshalb fuer die Protagonisten der Cyberwar/Infowar-These kein Thema. Wenn es in der AEC-Pressemitteilung [http://www.aec.at/infowar/press/press.html ] heisst: "information.macht.krieg" - so suggeriert die Sequenz dreier klein geschriebener Worte eine Kausalitaet, die vor allem einmal die eigene Rolle als Informationsarbeiter aufwerten soll. Man weiss dabei zu genau, will aber nicht eingestehen, dass der Kriegsschauplatz und seine mediale Repraesentation zwei verschiedene Kategorien sind.

Dazu passt die Rede von der Cyberguerilla,
die den Hacker-Mythos jetzt abzuloesen beginnt. Wohl nicht ganz zu Unrecht dechiffriert Geert Lovink am Netzgeschehen techno-soziale Bewegungen, die ganz eigene Bedeutungsfelder generieren. Erinnern wir uns: bereits in den sechziger Jahren hatte Umberto Eco ein semiotische Guerilla gefordert, um auf die Tatsache hinzuweisen, dass es nie ganz in der Macht eines Kommunikators liegt, wie eine Botschaft zu dechiffrieren sei. Die Macht der Rezipienten ist es, auch ganz andere Dinge mit ihr anzustellen, als es der Sender im Sinn gehabt hatte. Die selbsternannte Cyberguerilla nun treibt dieses Konzept ueber sich selbst hinaus. In der Kampfrhetorik der Metaphernritter, deren 'California Dreaming' hier voll durchschlaegt, ist aus der Netzkritik unversehens ein veritabler "Netwar" geworden. Bloss: wer kaempft eigentlich gegen wen? Revolution, Krieg, Kampf und Eroberung - es tut wahrscheinlich not, die eigenen ephemeren Taetigkeiten in diesem Geschehen rhetorisch soweit zu stilisieren, bis man tatsächlich die Rolle des Geschichtssubjekts zu spielen glaubt. Unscheinbarkeit wird an Bedeutung aufgeladen, und versteckt elitaere Aspirationen kommen dabei auch nicht zu kurz. Die Guerilleros eines diffusen Widerstandes (ach ja, das System...) sind dazu angehalten, im digitalen Frontkampf vor allem sich selbst zu heroisieren. Seltsam nur, dass die 'revolutionaeren' Veraenderungen des Systems, die oekonomische und politische Restrukturierung im vergangenen Jahrzehnt, eigentlich ohne das anarchistische Fußvolk und seine Platzhalter vonstatten ging.

Natuerlich gibt es einige frappierende Parallelen
zwischen der militaerischen bzw. propagandistischen Aufruestung im Vorfeld des zweiten Weltkrieges (wie dem Bau der deutschen Reichsautobahn) und den gegenwaertigen Investitionen in die Informations-Infrastruktur (mitsamt der sie begleitenden Bangemann-Rhetorik). Auch geht der Ersatz direkter menschlicher Sinneswahrnehmungen, den wir im Cyberspace wiederfinden, auf ein kriegstechnisches Kalkuel zurueck. Als Norbert Wiener in den spaeten vierziger Jahren sein berühmt gewordenes Buch ueber Steuerungsprozesse publizierte (Cybernetics), kombinierte er darin nicht nur die Begriffe Kommunikation und Kontrolle, sondern sah die Informationsverarbeitung wesentlich als moeglichen technischen Ersatz fuer sinnliche Wahrnehmungen, ueber deren Verfuegung Kriegsteilnehmer bekanntlich verlustig gehen können.

Medien als Korrektur sinnlicher Ohnmacht
wechseln zum Phantasma jener Allmacht, das zur Weiterentwicklung der Waffenarsenale in der Phase des Kalten Krieges gehörte. Ganz in diesem Sinne behauptet Friedrich Kittler, Berater der diesjährigen ARS, ein Information Warfare liesse sich "von jedem PC-bestueckten Schreibtisch aus" beginnen. [http://www.aec.at/infowar/NETSYMPOSIUM/ARCH-DT/msg00000.html ] Zumal "Machtsysteme" fuer Kittler ja mit "Betriebssystemen und Computernetzen zusammenfallen", dann waere aber doch - wenn schon eine Uebertreibung Einsichten provozieren soll - die Aussage umzukehren: der elektronische Informationskrieg reicht bis auf jeden Desktop. Allein, er richtet auch nicht mehr Verwuestungen an, als herkoemmliche Medien dies tun. Diesmal ist es das Netzvolk, das sich als veritables 'target' der MS-Marketingstrategen erlebt, oder gar als Kanonenfutter der Intel-Ingenieure?

Die soziologische Oberflaechlichkeit,
mit der man sich dieser Themen gern annimmt, hat schon Tradition. Es war der unvermeidliche Paul Virilio, nach dessen noch in der Ära des Wettruestens geaeusserten These "die Doktrin der Waffenproduktion mit ihren Delirien allmaehlich die Doktrin ihrer Verwendung auf dem Schlachtfeld verdraengt". [Krieg und Kino, 1986, S.13] Das spricht Hohn auf die Opfer nicht nur der seither stattgefundenen realen Kriege - ein Fettnäpfchen, vor dem sich Kittler durch umsichtige Verwendung des Konjunktivs zu retten versteht. Fuer ihn ist es eindeutig ein "Phantsma aller Information Warfare, den Krieg auf Software und seine Todesarten auf Betriebssystemabstuerze zu reduzieren".

Warum dann aber,
um alles in der Welt, diese Rhetorik der Veranstalter von einem "gewaltsamen Umbruch", in dem wir uns ausgerechnet jetzt befinden sollen? Und woher der Glaube, es laege in der Verantwortung von Kuenstlern, den Rest der Welt fuer "den Krieg im naechsten Jahrtausend" zu sensibilisieren?

[28-08-98 / erscheint in telepolis (www.heise.de/tp)]